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Lebenshilfe Marburg - Standpunkte

„Die Leute sollen sich trauen“


Etwa 60 junge Menschen absolvieren jährlich ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) bei der Lebenshilfe Gießen. Damit gehört das gemeinnützige Unternehmen mit Sitz in Pohlheim zu den größten FSJ-Anbietern in Mittelhessen. Im vergangenen Jahr nahm die Lebenshilfe Gießen an einem Modellprojekt teil und stellte erstmals beim FSJ-Träger Lebenshilfe-Landesverband Hessen eine inklusive FSJ-Stelle bereit. „Wir möchten, dass künftig auch verstärkt junge Menschen mit Behinderung die Chance erhalten, sich in diesem Freiwilligendienst sozial engagieren und persönlich weiterentwickeln können“, betont Linda Hauk, Geschäftsführerin Personal der Lebenshilfe.

Aktuell sind gleich drei Inklusive FSJ-Plätze bei der Lebenshilfe Gießen besetzt. Eine davon füllt Samantha Anderson im Inklusiven Kinder- und Familienzentrum Anne-Frank in Reiskirchen mit viel Freude und Freundlichkeit aus.

Die 19-jährige Frau mit amerikanischen Wurzeln lebt in Großen-Buseck. Seit ihrer Kindheit hat sie eine Lese- und Rechtschreibschwäche, darüber hinaus sporadische Probleme mit ihrer emotionalen Kontrolle. Für Außenstehende ist das nicht immer direkt erkennbar, Samantha Anderson beschreibt ihre dann aufkeimende Gefühlslage so: „Manchmal, da blockiert es bei mir im Kopf einfach, da kann ich dann generell nicht mehr viel machen.“

Wer die junge Buseckerin kennenlernt, sieht jedoch vor allem eine Person, die gut und eloquent, mit viel rhetorischem Können von sich und ihrem FSJ-Alltag zu berichten weiß. Man bekommt eine Ahnung davon, warum sie in der Grünberger Gallus-Schule, die sie bis letzten Sommer besuchte, zur Schulsprecherin gewählt worden war.

Seit September 2019 arbeitet Anderson im KiFaZ „Anne Frank“. Auf die Idee, ein Freiwilliges Soziales Jahr bei der Lebenshilfe Gießen zu machen, brachte sie ihr Freund. „Er macht selbst eine Ausbildung zum Heilerziehungspfleger bei der Lebenshilfe und hat mir immer von der Arbeit berichtetet. Er hat mir erzählt, wie der Tag mit Menschen mit Behinderung so ist, wie viel Spaß und Freude man gemeinsam haben kann – und er berichtete mir auch vom FSJ“, blickt Samantha Anderson zurück.

Eigeninitiativ erkundigte sich die Schulabgängerin bei der Arbeitsagentur bezüglich des Freiweilligen Sozialen Jahres. Eine Mitarbeiterin machte sie auf das neue Inklusive FSJ aufmerksam. Bei dieser Variante des Freiwilligendienstes erhält Samantha Anderson mehr individuell angepasste Unterstützung als beim konventionellen FSJ üblich. Vorab wird konkret geschaut, inwieweit die eigenen Bedürfnisse zur Einsatzstelle passen. „Ich dachte: Das hört sich gar nicht schlecht an – und habe mich schließlich dafür entschieden“, sagt die 19-Jährige.

Nach Rücksprache mit der Lebenshilfe Gießen, insbesondere mit Detlef Senft (Personalabteilung), entschied sich Samantha Anderson für ein Engagement in Reiskirchen. Bislang ist sie mit ihrem FSJ, das sie in einer integrativen Gruppe durchführt, sehr zufrieden: „Es ist schön hier und es gefällt mir. Die Kinder sind super und mein Anleiter ist eine sehr große Unterstützung für mich. Ich sage immer: Er ist mein Ruhepol. Manchmal bin ich in Stresssituationen etwas hektisch, da mache ich auch kein Geheimnis draus – er holt mich da immer wieder prima raus.“

Auch von den Kindern und ihren KollegInnen erfahre sie bislang eine positive Resonanz, freut sich Anderson: „Es ist klasse, dass ich hier sein kann, wie ich bin.“ Sibylle Kötzel, stellvertretende „Anne Frank“-Leitung, lobt ihre FSJlerin, die noch bis September in Reiskirchen bleiben wird: „Samantha bringt stets eine Wärme und ein Interesse an ihrem Gegenüber mit, sie fragt oft, wie es einem geht. Das ist wirklich positiv.“

Persönliche Unterstützung erfährt Samantha Anderson indes nicht nur vor Ort, im Inklusiven Kinder- und Familienzentrum, wo ihr außerdem ein Tandem-Partner in Form eines weiteren FSJlers bereitsteht, sondern auch bei den regelmäßigen und das FSJ begleitenden Seminaren des Lebenshilfe-Landesverbands: „Ich darf den Seminarleiter außerdem immer anrufen, falls mal was sein sollte. Das beruhigt natürlich.“

Bereits jetzt, so die sympathische Frau, sei sie sich sicher, dass sie nach ihrem Inklusiven FSJ im sozialen Bereich Fuß fassen möchte, gerne auch bei der Lebenshilfe Gießen. Jungen Personen von 16 bis 26 Jahren – ob mit oder ohne Handicap – empfiehlt Samantha Anderson: „Die Leute sollen sich trauen. Ob sie im Rollstuhl sitzen oder mit bestimmten Problemen zu tun haben – sie sollen sich trauen. Erfahrungen im FSJ zu sammeln, das hilft ungemein – das hilft wirklich jedem, denke ich.“

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