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Lebenshilfe Marburg - Standpunkte

Landesverband positioniert sich zur Zukunft der Heilerziehungspflege in Hessen


Positionspapier "Heilerziehungspflege in Hessen – Für eine Ausbildung mit Zukunft!" mit anderen Fachschulen erarbeitet

Ein Diskussionspapier von Fachschulen für Heilerziehungspflege (Hep) in Hessen zur Landtagswahl 2018

Im Januar 2018 wurde eine neue Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für die Fachschulen für Sozialwesen mit den Fachrichtungen der Sozialpädagogik und der Heilerziehungspflege in Hessen verbindlich eingeführt. Das vorliegende Papier behandelt zwar nur die problematischen Auswirkungen der neuen Verordnung auf den Ausbildungsgang der Heilerziehungspflege. Allerdings sind die unten genannten Schwierigkeiten in der Ausbildung für angehende Erzieher(innen) ähnlich gelagert.

Die neue Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für die Fachrichtungen der Heilerziehungspflege hat Auswirkungen
auf jährlich mindestens 300 Ausbildungsanfänger(innen) in der Fachrichtung Heilerziehungspflege Hessen und auf künftig an der Ausbildung Interessierte
• auf alle 900 Auszubildende und Lehrkräfte in den Fachschulen
• auf insgesamt 12 hessische Fachschulen für Sozialwesen, davon sieben in privater und fünf in öffentlicher Trägerschaft.
• auf viele hessische Bürgerinnen und Bürger mit Behinderungen, die auf Assistenz für ein selbstbestimmtes Leben angewiesen sind
• auf nahezu alle Einrichtungen und Dienste der Behindertenhilfe in Hessen, die der Fachkräftemangel vor die Herausforderung stellt, Assistenz für gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe auch künftig verlässlich zu leisten.

Inhaltlich trägt die neue Verordnung weitgehend den Vorgaben der UN-BRK und den Ausführungen des Bundesteilhabegesetzes Rechnung. Das begrüßen wir ausdrücklich. So wurde beispielsweise sowohl eine wirksamere Theorie-Praxis-Verzahnung als auch das Prinzip der Kompetenzorientierung aufgenommen, eine fächerübergreifende- und am Sozialraum orientierte Sichtweise eingeführt und mit dem Mentoring ein Rahmen zur systematischen Ausbildung einer professionellen Identität geschaffen. Andererseits wurden durch die neue Verordnung aber leider auch bestehende Probleme noch verschärft und neue geschaffen. Unverständlich erscheint hierbei, dass Veränderungsvorschläge seitens der LAG der Fachschulen für Heilerziehungspflege in Hessen bereits im Beteiligungsverfahren zur neuen Ausbildungs-und Prüfungsverordnung beim Hessischen Kultusministerium eingereicht wurden, die jedoch im weiteren Verfahren keine Berücksichtigung fanden.

An folgenden Stellen ist unserer Ansicht nach dringend eine Nachbearbeitung notwendig:

Die neue Ausbildungs- und Prüfungsverordnung verlängert die ohnehin lange Ausbildung zusätzlich!
Betrachtet man die Ausbildung insgesamt, so hat sich für viele Interessierte die ohnehin lange Ausbildungszeit noch verlängert. Im Übergangsjahr 2018/2019 haben letztmalig vor allem die privaten Fachschulen die zweijährigen Praktika und Vorerfahrungen als Zugangsvoraussetzungen gelten lassen. Nun müssen neben dem Mittleren Bildungsabschluss entweder- wie bisher - eine zweijährige Sozialassistent(innm Laufe der gesamtenenausbildung oder aber zukünftig drei Jahre berufliche Vorerfahrungen/Praktika zur Aufnahme der Ausbildung nachgewiesen werden. Zwar wurden für Abiturient(inn)en und Bewerber(inn)en, die bereits eine abgeschlossene Ausbildung haben, die Zugänge erleichtert, aber für alle anderen und damit für die bisher eigentliche Zielgruppe in der Heilerziehungspflege wurden die Zugangsvoraussetzungen erhöht. In der Folge ist mit einer verschärften Abwanderung von Bewerber(inne)n in angrenzende Bundesländer wie z.B. Bayern und NRW zu rechnen. Dort reichen zwei Jahre Vorerfahrungen aus. Erste Berichte von grenznahen hessischen Einrichtungen der Behindertenhilfe bestätigen unsere Sorge. Betrachtet man die beschriebene Verlängerung vor dem Hintergrund der ohnehin unangemessen niedrigen Entlohnung, so wird die Problematik noch deutlicher.


Die neue Ausbildungs- und Prüfungsverordnung macht das FSJ für alle Beteiligten unattraktiver!
Für junge Menschen, die bisher über das Freiwillige Soziale Jahr (FSJ) in soziale Berufe gekommen sind und die diese Zeit als Zugangsvoraussetzung angerechnet bekamen, erscheinen die künftig notwendigen drei Jahre Vorerfahrungen ebenfalls unattraktiv. Es ist ein Rückgang an FSJlern und damit an potentiellen Bewerber(inne)n für soziale Berufe prognostizierbar. Vor dem Hintergrund der jetzt schon fehlenden ergänzenden Kräfte in den Einrichtungen eine dramatische Entwicklung.
Das in der neue Ausbildungs- und Prüfungsverordnung festgelegte hohe Sprachniveau als Eingangsvoraussetzung erschwert v.a. Interessierten mit Migrationshintergrund den Zugang zur Ausbildung!
Problematisch ist darüber hinaus, dass als Eingangsvoraussetzung ein Sprachniveau C1 zur Aufnahme der Ausbildung vorausgesetzt und nicht als in der Ausbildung zu erwerbendes Sprachniveau festgelegt wird. Damit wird die Hürde zur Aufnahme einer HEP-Ausbildung für Menschen mit Migrationshintergrund oder mit Fluchterfahrung, die durchaus eine neue und relevante Zielgruppe für die Arbeit mit Menschen mit Behinderungen sind, zu hochgelegt. Wir teilen die Einschätzung um die hohe Bedeutung einer angemessenen Sprachkompetenz. Wir sind allerdings der Überzeugung, dass ein entsprechendes Sprachniveau auch im Laufe der gesamten Ausbildung erworben werden kann und damit der (Wieder- und Quer-)Einstieg erleichtert wird.

Die neue Ausbildungs- und Prüfungsverordnung verringert die Möglichkeiten der Fachschulen, ein eigenes Profil auszubilden!
Die Fachschulen haben bisher vor dem Hintergrund der Rahmenvereinbarung über Fachschulen (Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 07.11.2002 i.d.F. vom 23.02.2018) Möglichkeiten, ein eigenes Profil nach trägerspezifischen und regionalen Besonderheiten auszuprägen. So hat sich eine zweijährige, zum Teil dreijährige Praxisintegration in einigen Fachschule als sehr förderlich für die Kompetenzbildung gezeigt. Dies würde auch die Intention der neuen Ausbildungsverordnung einer Theorie-Praxis-Verzahnung verwirklichen helfen. Allerdings passen diese Modelle häufig nicht zu den Vorgaben der Zertifizierungen und werden von den Arbeitsagenturen nicht anerkannt. Die Erteilung von Bildungsgutscheinen ist damit nicht möglich und ein weiterer Personenkreis, insbesondere auch Quer- und Wiedereinsteiger(innen) wird damit ausgeschlossen.

Die hessischen Finanzierungsregelungen für Privatschulen des Sozialwesens verhindern insbesondere im Bereich der Schulen für Heilerziehungspflege eine bedarfsgerechte Fachkräfteausbildung!
Grundsätzlich problematisch erscheint die Tatsache, dass die Ausbildung an privaten Fachschulen mit der Bezahlung von Schulgeld für die Auszubildenden verbunden ist. Von Landesseite werden für private Ersatzschulen nur 75% der Mittel für öffentliche Schulen ausgezahlt, so dass die Restkosten durch Schulgelder der Auszubildenden ausgeglichen werden müssen. Diese anteilige Finanzierung war im Entstehungsstadium der Fachschulen noch nachvollziehbar. Vor dem Hintergrund des immer deutlicheren Fachkräftemangels ist diese Regelung jedoch nicht mehr haltbar.
Inzwischen hat sich der Fachkräftemangel verschärft und die Bewerberzahlen sowohl bei den Trägern der Behindertenhilfe als auch in den Fachschulen gehen signifikant zurück. Dies wurde von Verantwortlichen der Landesarbeitsgemein-schaft Wohnen, von Tagesförderstätten und Werkstätten für Menschen mit Behinderung (WfbM) sowie von Fachschulen mit Fachrichtung Heilerziehungs-pflege in Hessen während eines Austauschtreffens am 12.06.2018 in Marburg übereinstimmend festgestellt. Es ist dringender Handlungsbedarf geboten!

Mit nachfolgenden Maßnahmen könnte die sich abzeichnende Krise in der Heilerziehungspflege abgemildert und dem Fachkräftemangel entgegengewirkt werden:


1. Die Zugangsvoraussetzungen für die Fachschulen für Sozialwesen müssen auf dem Niveau der bisherigen Ausbildungs- und Prüfungsverordnung belassen werden. Dadurch ist eher gewährleistet, dass hessische Bewerber(innen) auch in Hessen bleiben und sich dort weiterhin für eine Tätigkeit im sozialen Bereich entscheiden.

2. Das C1 Sprachniveau muss weiterhin als während der gesamten Ausbildung zu erwerbende Qualifikation verankert sein. Zu Beginn der Ausbildung ist das niedrigere Niveau von B2 ausreichend. Viele geeignete Menschen können nur so eine Ausbildung beginnen und innerhalb der Ausbildung erweiterte Sprachkenntnisse erwerben.

3. Die Möglichkeiten der Fachschulen, ein eigenes Profil nach trägerspezifischen und regionalen Besonderheiten auszuprägen, müssen nicht nur erhalten, sondern weiter gestärkt werden. Dazu müssen die Vorgaben der Arbeitsagenturen z.B. hinsichtlich der Zertifizierungen der Ausbildungsprofile und bei der Erteilung von Bildungsgutscheinen an die Schulprofile anpassen. Es ist zunehmend im Interesse Aller, dass durch größere Flexibilität ein weiterer Personenkreis Zugang zur Ausbildung erhält und dann den Einrichtungen und Diensten für Menschen mit Behinderungen zur Verfügung stehen kann.


4. Nur eine kostenfreie Ausbildung für Studierende an allen hessischen Fachschulen kann wirksam dazu beitragen, den Fachkräftebedarf im Bereich der Heilerziehungspflege zu decken und die entsprechende Ausbildung attraktiv halten. Daher müssen die privaten Fachschulen für Sozialwesen finanziell angemessen ausgestattet, d.h. die Ersatzschulfinanzierung des Landes von 75% auf 100% erhöht werden.


5. Damit das Berufsbild und die damit verbundenen Tätigkeiten in der Behindertenhilfe in Hessen attraktiv und interessant bleiben, sollte eine gemeinsame landesweite Imagekampagne für das Berufsbild „Heilerziehungspflege“ initiiert werden.

6. Die politisch Verantwortlichen, v.a. in der Landesregierung, beim Landeswohlfahrtsverband, bei den Tarifpartnern und bei den Trägern der Freien Wohlfahrtspflege sind aufgerufen, sich für bessere Bezahlung der Berufsgruppe der Heilerziehungspfleger(innen) einzusetzen. Dazu gehört dringend auch die Gewährung von Zuschlägen in den Ballungsgebieten.


Die Parteien des hessischen Landtages sind aufgefordert zu handeln.

Verfasst von:
Siegfried-Pickert-Fachschule, Campus am Park, Herbstein
Akademie für Pflege-und Sozialberufe der Mission Leben, Darmstadt
Fachschule für Sozialwesen, St. Vincenzstift, Aulhausen
Fachschule für Sozialwesen in der DAA, Gießen
Fachschule für Sozialwesen, Lebenshilfe Landesverband Hessen, Marburg
Hephata-Akademie für soziale Berufe, Treysa
Fachschule für Sozialwesen, Max-Eyth-Schule, Alsfeld
Fachschule für Sozialwesen, Alice-Eleonoren-Schule, Darmstadt
Fachschule für Sozialwesen, Konrad-Zuse-Schule, Hünfeld

Marburg, den 06.09.2018

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